Der analogste Digitalverstärker
Um die zweijährige Entwicklungsphase des DSi200 und ihren Kostenrahmen von rund einer Million Dollar zu verstehen, muss man einen genaueren Blick auf die Konstruktionshistorie von Audio Research werfen. Audio Research hat immer außergewöhnlich weitreichend berücksichtigt, dass jede Gerätegattung eine völlig eigenständige Entwicklung darstellen sollte, selbst innerhalb einer Produktlinie werden daher sehr selten einzelne Baugruppen beispielsweise von einem Vorverstärker in einen Vollverstärker übernommen. Das Ganze ist schließlich die Summe seiner Teile - wird ein Detail verändert, müssen praktisch auch alle anderen im Rahmen des Gerätekonzeptes neu hinterfragt werden. Eine weitere charakteristische Audio Research-Maxime ist die bedingngslose Fokussierung auf das Ergebnis, nicht etwa auf verwendete Technologien. Dementsprechend hat Audio Research oft Röhrentechnik propagiert und verwendet, jedoch nicht prinzipiell, sondern im Einzelfall zweckgebunden. Daher gab es in den letzten Jahren und gibt es aktuell einige hybride Endverstärker, die Röhren und Transistoren beinhalten; vor diesem Hintergrund ist die röhrenfreie Konstruktion des DSi200 und der leistungsstärkeren Stereo-Endstufe DS450 keine so große Überraschung wie es zunächst erscheinen mag und schon gar keine Abkehr von einem Entwicklungskurs.
In metaphorischem Sinne stellt der vollsymmetrisch konzipierte und in Doppel-Mono-Architektur ausgelegte DSi200 allerdings durchaus ein Hybriddesign dar, denn er ist insofern kein typischer Schaltverstärker als er kein Schaltnetzteil enthält. Schaltnetzteile gelten in unterschiedlichen Zusammenhängen als Klangkiller, auch Audio Research identifizierte sie als starke Wurzel klanglichen Übels in Digitalverstärkern und baute folglich die gesamte Stromversorgung des DSi200 analog auf. Das Herzstück dieser mit 160.000 Pikofarad Siebkapazität überaus gönnerhaft ausgelegten Stromversorgung bildet ein dezidiert nur für den DSi200 entwickelter Trafo, der ebenfalls über souveräne Reserven verfügt. Von dort aus führen separate Abgriffe zur Vorstufensektion und zu den beiden Mono-Endstufenzügen; ein weiterer, kleinerer Trafo ist ausschließlich für die Versorgung der Steuerelektronik und des Displays zuständig, so dass alle Sektionen des DSi200 stabil und störungsfrei gespeist werden.
Auch zahlreiche andere Bauteile sind für den DSi200 neu entwickelt worden, einige Kondensatoren werden von einer exklusiv für Audio Research tätigen Firma hergestellt; tatsächlich findet sich kein Bauteil, dass nicht sorgsam in Hörtests ausgewählt wurde und auch kaum ein nicht nach eigenen Spezifikationen für Audio Research produziertes Puzzlestück im DSi200. In der vollständig diskret aufgebauten Ausgangsstufe werden nicht ganz so große Kondensatoren eingesetzt, statt dessen sorgen dementsprechend mehr kleinere für optimierte, besonders kurze Lade- und Entladezyklen. Die Vorstufensektion des DSi200 ist völlig passiv, daher können die Vor- und die Endstufensektion nicht getrennt werden - somit verfügt der DSi200 natürlich auch nicht über einen Vorstufenausgang. Um ihn dennoch in Heimkino-Systeme einbinden zu können, lässt sich einer seiner RCA-Eingänge als „Home Theatre Passthrough“ konfigurieren und das Signal eines Players unangetastet zu einer AV-Prozessor-Vorstufe durchschleifen.
Die Entwicklungstiefe des DSi200 zeigt sich jedoch nicht allein im Bereich‚herkömmlicher‘ analoger Komponenten, auch die Digitaltechnik der Ausgangsstufe ist nicht etwa ein Zukauf aus dem Regal eines Chip-Produzenten. Die nach dem Prinzip der Puls-Weiten-Modulation arbeitende Endverstärkung stellt hinsichtlich ihres genauen Aufbaus und der Auswahl der verwendeten Module ebenfalls eine Eigenentwicklung von Audio Research dar.