Ganz tief in der Musik
Während der vergangenen Monate verbrachten Thomas Gessler, Bernd Sander und Andreas Selhorst manchen Abend im prinzipiell fertig gestellten Hörraum. Eine lange Zeit voller Messungen, Planungen, Handwerken und Hören liegt hinter ihnen. Mit etwas Abstand zur arbeitsreichen Bauphase sollte noch einmal unvoreingenommen gehört und mit Ergänzungen im Detail der finale Feinschliff gemacht werden, auch Uwe Kempe hört sich den Raum wieder an und misst, um die letzten offenen Wünsche zu erfüllen. Bis hierhin sind über zwei Jahre vergangen. Was ist wohl bei all der Mühe herausgekommen? Diese Frage geht mir durch den Kopf während ich es mir auf dem Hörplatz in der Mitte bequem mache, begleitet von der Ahnung, dass mir ein schwer zu beschreibendes Erlebnis bevorsteht. Zuvor hatte Uwe Kempe mir erklärt, wie stark ein Hörraum das klangliche Resultat bestimmt: Die Einflüsse der Faktoren Musikanlage und Raum stehen etwa im Verhältnis 1:100 - vielleicht sollte man diese Information besser schnell wieder vergessen. Herausgekommen ist jedenfalls bei dem Projekt „Klanglabor“ nicht mehr und nicht weniger als ein Hörraum, den man kaum hört. Testsignale und Impulsantwort stimmen außergewöhnlich weit reichend überein, störende Raumeinflüsse sind praktisch eliminiert. Der Hörraum von Audionet kehrt quasi den akustischen Grundsatz des Raumhörens um: Hier spielt eine Musikanlage so, wie sie tatsächlich klingt.
So eine Aussage mag nicht so furchtbar spektakulär wirken, die Realität ist es aber: Stellen Sie sich vor, Sie hören eine hochwertige Anlage in einer Umgebung, die weder die tonale Balance stört noch die Dynamik einschränkt, in der sich die Rauminformationen der Aufnahme voll entfalten, die jede kleinste Modifikation an der Anlage oder im Raum ebenso wie jedes Detail einer Produktion wie eine akustische Lupe präsentiert. Eins kann ich Ihnen versichern: Das Wissen um die Bedeutung raumakustischer Einflüsse wird der Eindringlichkeit dieses Erlebnisses in keinster Weise gerecht!
Das Klangerlebnis im Audionet-Hörraum ist ganz einfach fundamental, um hier von der Musik mitgerissen zu werden, braucht es weder audiophile Produktionen noch besondere Aufmerksamkeit
Im Laufe der Jahre begegnet man hin und wieder Anlagen, deren Qualität nachhaltig beeindruckt, weil sie den eigenen Rahmen der Wahrnehmung von Musikwiedergabe gesprengt haben. Das gleiche passiert auch im Audionet-Hörraum, allerdings noch radikaler. Einige Stunden sehr aufmerksamen Musikhörens in diesem Raum waren für mich eine bisher einzigartig einprägsame Erfahrung, in der ich Musikwiedergabe auf grundlegend neue Weise erfahren und den persönlichen Horizont mit Blick auf das Machbare erweitern konnte.
Thomas Gessler führt uns einige seiner persönlichen musikalischen Lieblinge vor, Sade, Tori Amos, Lamb und einige klassische Werke sind bei einem bunten Querschnitt von Stilrichtungen und Aufnahmequalitäten dabei, auf meinen Wunsch hin hören wir auch Kraftwerk. Doch was gehört wird, spielt im Grunde keine Rolle: Das Erlebnis ist ganz einfach fundamental, dazu braucht es weder audiophile Produktionen noch anspruchsvolle Musik oder angestrengte Aufmerksamkeit. Klänge entstehen hier mit einer nie gehörten Selbstverständlichkeit, fluten den Raum vollkommen und tragen den Zuhörer unmittelbar ganz tief in die Musik. Die Reproduktion guter Aufnahmen ist frappierend glaubhaft, wirkt tatsächlich realistisch. Nur ein konkretes Beispiel, denn was sich über die Intensität dieser Musikwiedergabe überhaupt sagen lässt, ist nicht mit der Bewertung typischer Klangkriterien allein hinlänglich vermittelbar. Ich persönlich mag besonders elektronische Klangmalerei, verspielt, involvierend und in abstrakter Form harmonisch. Außerdem reagiere ich emotional sehr stark auf Produktionen mit ausgeprägter Rauminformation, gerade wenn diese künstlich weitläufig ist.
Stellen Sie sich vor, Sie hören Musik über eine hochwertige Anlage in einem Raum, der jedes Detail wie eine akustische Lupe präsentiert. Das Wissen um die Bedeutung raumakustischer Einflüsse wird der Eindringlichkeit des Erlebnisses in diesem optimierten Hörlabor in keinster Weise gerecht!
Ein Titel, der dies in Hülle und Fülle anbietet, findet sich auf einem alten Cafe del Mar-Album, dem Volumen Cinco: Titel Nummer zwölf, ein Remix des Lamb-Titels „Transfatty Acid“ von Kruder & Dorfmeister. Elektronisch verfremdete Percussion klingt plötzlich nicht wie gewohnt mehr oder weniger substanzlos und irritierend, wirft nicht mehr die Frage auf, ob hier nun ein Synthesizer oder eine Basedrum erklingt. Was daran akustisch merkwürdig bleibt, erschließt sich vollkommen selbstverständlich als stilistisch genau so gewollt.
Zumindest insgeheim denken viele, Stereo schaffe keinen echten Raumklang - von wegen! Töne tänzeln hier schier endlos in einem riesigen virtuellen Raum, auch weit hinter dem Zuhörer. Manche Soundsequenzen entpuppen sich nun als miteinander verwoben: Wo sonst eine Pause zwischen bestimmten Loops eintritt, weil die letzten Töne im Nebel der Raumakustik untergehen, offenbart sich nun eine zarte Bande, ein weiterer roter Faden in der Komposition.
Während die Eindrücke im Nachgang dieser bewegenden Stunden langsam sacken, kristalliert sich ein Fazit heraus: Musikwiedergabe ist heute eigentlich qualitativ wesentlich weiter, als die meisten Audiophilen wissen. Was bleibt, ist die Bestätigung einer persönlichen Ansicht: Keine Kunst kann in reproduzierter Form so vielfältig und hautnah berühren, so losgelöst von kulturellen Kontexten emotional bereichern wie Musik.