Mentor oder Inquisitor?
Um zu prüfen, ob die Ingenieure von Dali sich die Lorbeeren für ein solches Kunststück verdient haben, bedarf es keines großen Aufhebens im Vorfeld des Hörtests. Nicht zuletzt wiederum dank der breiten Abstrahlcharakteristik des magnetostatischen Bändchens können die Mentor 6 sowohl annähernd parallel zur Rückwand als auch auf den Hörplatz eingewinkelt aufgestellt werden, welche Positionierung man bevorzugt, ist eher Geschmackssache. Tonale Unterschiede resultieren aus diesen Varianten allenfalls im Bereich feinster Nuancen, gleiches gilt für die Fokussierung und Plastizität des Klangbildes. Damit ist auch schon klar, dass ein Entwicklungsziel aller Dali-Lautsprecher auch bei der Mentor 6 erreicht worden ist: Den Zuhörer nicht an den Hörplatz zu fesseln, jedenfalls nicht weil es nur dort gut klingt. Auch die Firmenvorgabe, eine günstige Positionierung für die Lautsprecher in unterschiedlichen Räumen leicht aufzufinden kann für die Mentor 6 als erfüllt betrachtet werden, denn auch beim Abstand zur Rückwand ist sie nicht wählerisch. Schließlich fiel die Entscheidung für eine leichte Einwinkelung auf den Hörplatz - auch aus optischen Gründen - und etwa neunzig Zentimeter Platz sowohl nach hinten als auch zu den Seitenwänden. Lohnenswerte Vorarbeit beschränkt sich somit auf zwei Maßnahmen, die fast jeder Lautsprecher überproportional zum Aufwand belohnt: Man richte die Mentor 6 unbedingt mittels ihrer Spikes in beiden Achsen parallel zum Boden aus und ersetze die mitgelieferten Blechbrücken zwischen ihren Bi-Wiring-Terminals durch hochwertige Kabelstücke oder ebensolche Adapter falls ein Single-Wiring-Lautsprecherkabel angeschlossen wird.
Als digitale Tonquelle diente die neue CD-Spieler-Referenz des AV-Magazins Audionet ART G2, die Elektronik des Setups bestritten wechselnd Audionet und Linn, verkabelt haben wir duchgehend mit den neuen Audionet-Verbindungen.
Einen musikalisch seichten, sehr entspannten Anfang des Hörparcours macht das aktuelle Release Volumen XIV der Ibiza-Easy-Listening-Legende Cafe del Mar; klanglich durchaus passabel geraten stellt dieses Album zwar keine besonders großen Anforderungen an große HiFi-Anlagen, einzelne Tracks fordern den Lautsprechern allerdings doch einiges Tieftonvermögen ab. So auch ein Remix des Klassikers "Carma" von Michael Hornstein, das außerdem mit recht laut abgemischten Saxophonsoli einen ersten Eindruck darüber vermitteln kann, ob das Hochtonmodul der Mentor 6 die Prägnanz besitzt die es verspricht oder wohlmöglich gar zu viel des Guten präsentiert. Die synthetischen Bassläufe und Rhythmussequenzen zeigen sofort auf, wie viel Potential die Mentor 6 im Frequenzkeller aufzubieten hat, sie schiebt die tiefen Töne voluminös, druckvoll und mit der gebotenen Authorität in den Hörraum. Im Vergleich zu sehr vielen Lautsprechen hebt sich die Wiedergabe des Hochtonbereichs ebenfalls mit den ersten Noten durch außergewöhnliches Auflösungsvermögen und Durchsetzungskraft ab, das Saxophon bläst dem Zuhörer eindringlich mit der für dieses Instrument charakteristischen Mischung aus Wärme und Rauigkeit entgegen. Selbst bei dieser durchschnittlichen Pop-Produktion arbeitet die Mentor 6 Details deutlicher heraus als viele ihrer Konkurrentinnen, sie scheint einzelne elektronische Sounds zu pointieren ohne sie allerdings aus dem Zusammenhang zu reißen.
Bis dato wirkt die klangliche Abstimmung der Dali tatsächlich sehr gelungen, sowohl das Leistungsvermögen des Tiefton-Duos als auch die ausgezeichnete Auflösung des Hybrid-Hochtonmoduls treten nicht in unpassender Weise aus dem Klangbild hervor, wirken nicht wie omnipräsente Fremdkörper, sondern wie selbstverständliche Aspekte des Ganzen. Gerade mit Blick auf den Verbund von Kalotte und Hochton-Bändchen stellt sich die Frage, warum dieser Lautsprecher "Mentor" heißt, denn in diesem Konzept steckt mehr als genug Darstellungsvermögen mit weniger schmeichelnden Aufnahmen eher inquisitorisch denn befürwortend umzugehen. Diesbezügliche Befürchtungen erweisen sich allerdings schnell als unangebracht, die Mentor 6 gewinnt sogar einem mäßig produzierten, im Hochton unsauber und überpräsent klingenden Titel wie Madonnas "Hung Up" seine Schokoladenseiten ab: Klar, die Abba-Samples klingen wie sie nun einmal immer klingen: nervig. Die Dali legt jedoch keinen Finger in diese Wunde, sie vollführt vielmehr einen imposanten Spagat zwischen immenser Strahlkraft und Integrität. Die Tieftonpassagen in der Mitte dieses Titels hört man allerdings nicht alle Tage mit solcher Wucht...
Zeit, die Mentor 6 wirklich zu fordern; mit einem neuen Album einer wirklich wundervollen Jazz-Stimme: Lizz Wright. Auf "The Orchard" verweben sich Miss Wrights facettenreiche Gesangparts mit dem überschaubaren Instrumentarium der kleinen Jazz-Besetzung zu einem Bild mit wenigen dominanten Farbtönen, das seine Ausdrucksstärke durch diese Reduktion und feinste Variationen gewinnt. Besonders beim Titel "Hey Mann" lässt Lizz Wright dazu ihrem außergewöhnlichen stimmlichen Kolorationsvermögen freien Lauf, die Mentor 6 lässt dabei über keinen Atemzug und keine Vibration im Ungewissen. Spannung und Detailreichtum der Aufnahme werden hautnah und intensiv transportiert, die Dimension und Stabilität der räumlichen Abbildung gelingt hervorragend. Einzig die letzte Konsequenz ultraknorriger Bässe ist nicht unbedingt ihre Sache, die Dali zeichnet in Nuancen lieber ein klein wenig weicher statt mit akademischer Askese bei vielen Einspielungen letztlich zu ernüchtern. Keine Missverständnisse: Die Mentor 6 ist beileibe keine Soundbox, im Rahmen ihrer grundsätzlich neutralen, sehr ausgewogenen Abstimmung haucht sie den Mittellagen und dem Grundton augenzwinkernd einen Tick Wärme ein und verwöhnt mit fantastischer Atmosphäre ohne in den Bereich der Dichtung abzugleiten - als wolle sie dem Zuhörer sagen: Dir ist es so doch auch lieber, oder etwa nicht? Eine wahre Mentorin eben...