Wilson Audio TuneTot - Technologie
Das zentrale Anliegen schlechthin bei der Entwicklung war für Dave Wilson immer, eine zeitrichtige Wiedergabe zu erreichen. Für seinen Sohn Daryl, der in der Firma gelernt hat und sie inzwischen leitet, gilt diese Maßgabe ebenso; zuspitzend gesprochen hat bei Wilson Audio bestmögliches Impulsverhalten gegenüber einer linealglatten Frequenzantwort Priorität. Das Layout und die Bestückung der Frequenzweiche sind dementsprechend ausgelegt, wobei handgefertigte Kondensatoren verwendet werden, die für den TuneTot entwickelt wurden. Sie stammen übrigens aus eigenem Hause: Nachdem Wilson Audio dreißig Jahre lang kundenspezifisch hergestellte Kondensatoren von Reliable Capacitors bezogen hatte, wurde der Spezialist Mitte 2020 übernommen und die Produktion kurzerhand nach Utah verlegt. Unter dem Stichwort der Linearisierung beider Chassis auf der Zeitachse ist der Hochtöner leicht zurückversetzt montiert; er sitzt in einer separaten akustischen Kammer, deren Inneres strukturiert und leicht bedämpft ist. Das hier verbaute Exemplar ist die MK5-Version des »Convergent Synergy«-Hochtöners, der mit einer beschichteten 25-mm-Seidenkalotte ausgestattet ist. Der 14,6-cm-Konustreiber basiert auf dem im Standlautsprecher Sabrina X eingesetzten Modell, er hat eine beschichtete Papiermembran mit Phaseplug. Die Membranfläche und der Phaseplug sind mit einer Prägung versehen, die Partialschwingungen kontrolliert. Den genauen Übergabepunkt zwischen den Treibern verrät der Hersteller nicht und teilt lediglich mit, dass er zwischen 1 und 2 Kilohertz liegt.
Griffkraft
Die Bassreflex-Abstimmung ventiliert über einen rückseitigen, schlitzförmigen Port oberhalb des Gehäusebodens. Um bei sehr wandnaher Positionierung des Lautsprechers den Tieftonpegel etwas abzusenken, kann diese Austrittsöffnung mit einem Dämmstopfen verschlossen werden. Wer hingegen bei einer Aufstellung mit den Stativen die Resonanzoptimierung auf die Spitze treiben will, kann die Isolationsbasen zwischen Box und Topplatte verwenden. In jedem Fall sollte der verwendete Verstärker dem moderaten Wirkungsgrad des TuneTot großzügige Reserven entgegensetzen. Mit dem 2021er-Remaster von Metallicas »Black Album« zeigt die kleine Box dann ohne Umschweife, was in ihr steckt: Die Bassdrum klingt staubtrocken und hat beachtlich Substanz. Gleichzeitig zeichnet der TuneTot die Gitarrenriffs kernig durch und verleiht auch der Bassgitarre ganz souverän ihre typische, tiefschwarze Autorität. Dabei lässt seine »Griffkraft« selbst bei sehr hohem Pegel nicht nach, die grobdynamischen Fähigkeiten dieses Kompaktlautsprechers reichen meilenweit über das hinaus, was man ihm eingedenk seiner bescheidenen Abmessungen zutrauen würde. Die brachialen Bassläufe auf dem aktuellen Konzeptalbum »Moma« der französischen Electro-Ikone Emmanuel Top lassen indes die physikalischen Grenzen des TuneTot erkennen - jedoch nur dann, wenn man diese Passagen zuvor mit großen, basspotenten Standlautsprechern gehört hat. Der Wilson Audio steigt hier verblüffend tief in den Frequenzkeller herab und schiebt die mächtigen Bass-Sequenzen druckvoll in den Raum, bleibt dabei agil und absolut präzise.
Authentizität
Die norwegische Sängerin und Songwriterin Siril Malmedal Hauge hat kürzlich zusammen mit ihrer Band ihr neues Album »Slowly, Slowly« eingespielt, das mit seiner ruhigen, äußerst stimmungsvollen Atmosphäre die Tradition der Trondheimer Jazz-Szene widerspiegelt. Der TuneTot geht hierbei voller Spielfreude und Feinsinn zu Werke, führt alle Facetten der musikalischen Interaktion unmittelbar vor Augen und lässt mich sofort gänzlich in das Geschehen eintauchen. Er stellt Saxophon, Schlagzeug und Bass akkurat gestaffelt auf eine realistisch dimensionierte Bühne, die den Musikern reichlich Freiraum gewährt und sich mühelos im Geiste bis in den letzten Winkel hinein begehen lässt. Dabei gelingt seine Abbildung derart körperhaft, dass selbst die Luft zwischen den Instrumenten greifbar scheint. Im Vordergrund dieser spannungsgeladenen Szenerie stehen bei »Featherlight« Martin Myhre Olsen am Saxophon und Siril Malmedal Hauge, in passender Höhe richtig proportioniert abgebildet. Der TuneTot trifft hier den samtig-rauchigen Charakter des Saxophons haargenau auf den Punkt und vollbringt eine vollkommen natürlich klingende Reproduktion der Stimme, lässt das Zauberhafte in ihr tief unter die Haut gehen.
Nach dieser ausgezeichneten Vorstellung dient der anschließende Ausflug in die Neo-Klassik vorwiegend dem persönlichen Vergnügen: Die isländische Komponistin und Pianistin Eydís Evensen hat nach gefeierten Auftritten auf internationaler Bühne in diesem Jahr ihr Debütalbum »Bylur« veröffentlicht. Darauf finden sich dreizehn Stücke, die allesamt aus ihrer Feder stammen und sich mit fließenden Melodien zwischen melancholischen und freudvollen Momenten bewegen. Dabei wird das Ex-Model am Piano von einer Streichergruppe begleitet, die zuweilen auch tonangebend spielt und den sehnsüchtigen Charakter mancher Kompositionen trägt. Der TuneTot widmet sich hierbei melodiösen Akzenten voller Hingabe und schenkt tonalen Schattierungen ebenso viel Aufmerksamkeit: Er verleiht den Violinen Strahlkraft und stattet das Cello mit harziger Sonorität aus. Die reiche Klangfarbenpracht des Flügels wirkt indes geradezu betörend, während der Instrumentenkörper mitsamt seines Innenlebens reliefartig hervortritt. Die Darbietung des TuneTot erreicht bei dieser ausgezeichneten Aufnahme ein Niveau von Authentizität, das die Barriere zwischen Tonträger und Kopfkino beiseiteschiebt - Gratulation an Wilson Audio!