Virtuos
Ein wahrhaft stattliches Paket, das Clearaudio da gepackt hat, angesichts der zahlreichen konstruktiven Leckerbissen die äußerlich verborgen bleiben drängt sich geradezu das Bild vom Wolf im Schafspelz auf - lassen wir es ergo richtig krachen. Gerade eben noch rechtzeitig trifft die LP von MC Solaar ein, „Cinquième As“ ist nicht brandneu, aber nichtsdestotrotz eines der für meinen Geschmack spannendsten Werke des französischen Klang- und Sprachkünstlers. Kräftige, erdige Beats werden immer wieder mit gegenläufigen Loops rhythmisch kontrastiert, darüber schwebt ein ganzer Mikrokosmos subtiler Sounds. Der teils mehrstimmige Sprechgesang hat dabei ebenso fast aberwitziges Tempo wie die Musik insgesamt. So ein Material ist wie geschaffen, um dynamische wie rhythmische Fähigkeiten eines Drehers auszuloten. Typischerweise irritieren Plattenspieler mit Magnetlager zunächst den Zuhörer, der wesentlich geringere Grundpegel von Lagerstörgeräuschen ist wirklich hörbar - in Form ungewohnter Transparenz und einer Art „Grundruhe“ die dem Kangbild einen besseren Rahmen zur Entfaltung bietet. Genau diesen Eindruck des Fehlens von allzu gewohnter Verfärbung und eines Grundrauschteppichs vermittelt auch der Ambient Anniversary. Dabei unterscheidet ihn vom ersten Ton an eine herausragende Eigenschaft wesentlich von vielen Konkurrenten: dynamische Strukturen ungemein akurat und völlig unlimitiert abzubilden. Die energisch-frische, sehr dynamische Gangart des Concerto trägt zu diesem Ergebnis bei, wer jedoch frühere Clearaudio-Abtaster als zu forsch im Hochton abgestimmt empfunden hat, sollte diesem außergewöhnlich hochauflösenden und ausgewogenen System Gehör schenken. Um es deutlich zu sagen: Die Symbiose aus Ambient, Unify und Concerto demonstriert einfach so einiges, was tief in den Rillen steckt aber oftmals verschleiert bleibt.
Ein anderer häufig entstehender Eindruck bei Hörsessions mit Magnetlagerdrehern ist die Täuschung, diese liefen langsamer. Teils wird diese Wahrnehmung anfangs durch die Abwesenheit von Noise, das als dynamisches Verve interpretiert wird, hervorgerufen - sie verschwindet nach einigem Einhören. Im Laufe der Zeit kommt man dahinter und realisiert welche Darbietung dem Charakter der Konserve näher steht. In der Erwartung nach längerer Magnetlagerabstinenz wieder für einige Momente diesem Trick der Hörpsychologie zu unterliegen, wurde mir durch das Ausbleiben jenes Effekts dessen zweite Ursache wieder bewusst gemacht: mangelndes Auflösungsvermögen. Von Anfang an zeigt der Ambient, dass die Ruhe seines schwebenden Plattentellers die ideale Basis bildet für Tempowechsel, rohe Dynamiksprünge und schillernde Klangfarben. „Laigle ne chasse pas les mouches“ liegt auf, der Meister intellektuellen Hip Hops flippt los und der Ambient scheint ihn zu dirigieren. Wieder wird klar, das sonst sehr große Maschinen nötig sind, um solche Tieftonenergie loszulassen, wie es der Clearaudio kann - und dass man digitale Konkurrenten, die derart realistisch-organisch wirkende Tieftonimpulsivität hervorbringen können, lange suchen muss. In dieser Disziplin steht der Ambient auf einer Stufe mit deutlich gewichtigeren Massekonzepten und verwöhnt seine Zuhörer auch mit deren unverschämter Gelassenheit und souveräner Stabilität. Vielen Boliden geht allerdings die Puste aus, wenn sie versuchen beim Spurt um die Ecken an ihm dranzubleiben. Der Clearaudio Ambient Anniversary ist ein Plattenspieler, der vielen Musikfreunden aufzeigen kann, welches kaum erschöpflich erscheinende Potential die gute alte Schallplatte in sich trägt.